MTB-Transalp 2010

Die vierte Etappe: S-Charl-Rifugio Val Viola

Auch im Crusch Alba gibt es ab sieben Uhr Frühstück. Nach dem vorzüglichen Abendessen war uns schon klar, dass das Frühstück üppig sein würde. Aber das, was uns an diesem frühen morgen geboten wurde, übertraf die Erwartungen dann schon ...

Italien

Donnerstag, 15. Juli 2010

Eigentlich gab es bis auf Fisch alles. Waldfrüchte, Käse, Wurst, Müsli, selbst zu kochende Frühstückseier, etliche Brotsorten, Kuchen, Obst ... . Das meiste aus heimischer Produktion und von allerbester Qualität. Wie immer sind wir ja früh dran und können uns Zeit lassen. Zumal auch die für heute geplante Etappe nicht zu schwer sein wird.

Erst gegen halb neun Uhr machen wir uns auf den Weg. Mit frisch gewaschenen, Pikfeinen Klamotten übrigens. Und einer neuen Trinkflasche, die wir nach dem üppigen Frühstück mit einem Sportdrink befüllt haben. Alles im Preis für die Halbpension inbegriffen.

Etwas über neun Kilometer und etwa 450 Höhenmeter sind es bis zum Pass da Costainas. Einen großen Teil der Strecke legen wir auf gut zu fahrendem Schotterweg zurück, bis zur Alp Astras geht es zügig voran. Die drei Schweizer, die wir schon bei der Konstanzer Hütte getroffen haben, sind auch unterwegs. Auch sie machen einen kleinen Halt, als die Alp Astras ins Bild rückt. Der Anblick ist allemal ein Foto Wert!

Der letzte Kilometer zur Alpe ist auf dem abfallenden Schotterweg schnell geschafft. Einige Biker sitzen hier schon beim zweiten Frühstück und genießen die Sonne, die sich auch heute schon sehr früh zeigt. Wir wollen aber gleich weiter. Blöd, dass der Wegweiser zum Pass da Costainas anscheinend verdreht ist. An der Terrasse vorbei radeln wir Richtung Kuhstall. Hier haben wir dann die bis dahin einzige unfreundliche Begegnung unserer Tour. Schroff weist uns der Bauer darauf hin, dass der Weg gefälligst um die Hütte herumführt. Danke für den Hinweis.

Gleich nach der Alp Astras beginnt ein wunderschönes Trailstück, nur leicht ansteigend kommen wir so mit viel Spaß zum Pass da Costainas auf 2251 Meter Höhe. Ohne es zu erahnen, stehen wir plötzlich am Passschild. Meine Güte, das war mal ein wirklich lässiger Anstieg. Auch die Abfahrt nach Lü, zunächst auf einem Wanderweg, später dann auf guter Schotterstraße, ist ein Vergnügen. Ab dem kleinen Ort Lü fahren wir auf einer richtigen Straße runter zur Ofenpassstraße. Die kurvenreiche Fahrt bereitet, obwohl asphaltiert, auch Vergnügen.

Wir kommen auf die Ofenpassstraße. Im vergangenen Jahr bin ich hier auch schon vorbeigekommen, vom Stilfser Joch und Umbrailpass her. Mit Zelt und einigem Gepäck, spät war es schon und ich musste nach Tschierv, weil es da einen kleinen, aber ganz feinen Campingplatz gibt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wir können es rollen lassen. Nicht sehr weit, der Fahrtwind tut gut. Am tiefsten Punkt der Etappe, auf 1581 Meter Höhe, ist es bockwarm. Das Tachothermometer zeigt 30 Grad an. Gefühlt sind es einige mehr. Im Arvenwald, durch den wir jetzt fahren, vermissen wir den Fahrtwind, den wir vorher noch kurz genießen durften. Der Schotterweg steigt bald stark an, zwei junge Kerls überholen uns mit hohem Tempo. "Mal sehn, wie lange die das durchhalten" meint Wolfgang. Pinkelpause erst einmal. Ein großer Kipper-LKW kommt den Weg runter, wir müssen uns abseits des schmalen Weges in Sicherheit bringen. Sachen gibt es! Dann geht es weiter, nur wenig später sehen wir die beiden Überholer schiebend vor uns. Klarer Fall von Selbstüberschätzung.

Es ist nun elf Uhr, es wird immer noch wärmer. Die Aussicht auf die Abfahrt durch das Val Mora, die nun hoffentlich bald beginnt, gibt einen Motivationsschub. Bei der Alpe Las Castras im Val Vau machen wir eine kleine Pause an einem Bach. Das kühle Wasser bringt die lang ersehnte Erfrischung. Die Passhöhe kann nun auch nicht mehr weit sein. So ist es dann auch, nach kurzer Fahrt kommen wir am höchsten Punkt der Schotterstraße an. Döss Radond, 2234 Meter, steht auf dem kleinen Schild. Also haben wir immerhin 654 Höhenmeter hinter uns, seit wir die Ofenpassstraße verlassen haben. Fast zwei Stunden hat das gedauert, die kleine Pause mit eingerechnet.

Vor uns liegt das Val Mora, zwar immer über 2000 Meter hoch gelegen, aber dennoch ein Tal. Von nun an geht´s bergab! Nicht steil, treten müssen wir schon noch. Wie immer sind die Mühen der vergangenen Stunden sofort eh nie Wirkliche gewesen und vergessen. Einige Kilometer geht das so. Bei der "Höhe 2062" verlassen wir den Schotterweg und biegen nach links ab Richtung Lago di San Giacomo. Noch sind wir in der Schweiz.

Abwärts

Der Pfad ist anfangs noch so breit, dass wir nebeneinander fahren können. Das ändert sich schnell, aus dem zweispurigen Pfad wird ein klasse Singletrail. Am Bach Aua da Val Mora entlang geht es mit viel Fahrspaß nach unten. Auch mal schön, einen Pass abwärts fahrend zu erreichen. Den Passo Val Mora, 1934 Meter hoch, übersehen wir. Aber der Trail verlangt schließlich Aufmerksamkeit. Wir sind jetzt in Italien, genauer in Livigno.

Vor uns sehen wir zwei Biker, die gerade dabei sind, den viel Wasser führenden Gebirgsbach zu durchqueren. Knietief im eiskalten Wasser watend, die Mountainbikes geschultert, erreichen die beiden das andere Ufer. Wir entdecken einen einfacheren Weg, viel flacher ist das Wasser hier. Ich komme, ohne absteigen zu müssen, rüber. Der andere Wolfgang ist vorsichtiger und balanciert über vereinzelte Felsen rüber. Danach beginnt ein, führ unsere Verhältnisse, Supertrail. Superschmal führt der Trail durch die riesigen Geröllhalden, achterbahngleich geht es ständig auf und ab, enge Kurven verpassen dem Ganzen den letzten Schliff. Und weil es mehr abwärts als aufwärts geht, passiert das alles in einem ordentlichen Tempo. Wow!

Alles hat ein Ende. Schade. Das letzte Stück bis zum Lago di San Giacomo ist topfeben, eine Kieslandschaft, durchzogen von Sträuchern. Eine kurze Besprechung ist nötig. Unsere geplante Übernachtung im Rifugio Val Fraele würden wir in den nächsten Minuten erreichen. Viel zu früh, es ist erst 13.30 Uhr. Wir beschließen, im Gasthof Viola, an der Foscagnostraße gelegen, zu übernachten.

Aber nun haben wir uns eine Pause verdient, das Rifugio S. Giacomo kommt dafür gerade recht. Hier war ich schon beim Alpencross 2008. Leckere Pasta zu günstigen Preisen gibt es hier. Und einen herrlichen Rundumblick auf die umliegenden Berge und den Stausee. Die drei Schweizer sind auch hier. Sie machen ihren Alpencross nur mit einer Generalkarte im Maßstab 1:200.000 und fahren einfach mehr oder weniger drauflos, erzählen sie uns. So geht das auch. Meine Pasta ist einfach, aber wirklich sehr gut. Dazu, das gibt es hier auch, ein Apfelschorle. Zum Abschluss Cappuccino.

Auf der schlaglochübersäten Schotterstraße entlang der Stauseen fahren wir zu den Torri di Val Fraele. Überbleibsel aus den Welkriegen, auch unser weiterer Weg zum Val Viola ist eine alte Militärstraße. Immer leicht abfallend führt uns die Schotterstraße zur Foscagnostraße. Am Hotel Viola kommen wir auf die Passstraße. Das sieht ziemlich Nobel, aber auch unbelebt aus. Nicht gerade das, was wir suchen.

Nur ein paar Meter weiter entdecke ich dann den Wegweiser zum Rifugio Val Viola. Nur acht Kilometer sind es dahin. Wir sind ja immer noch früh dran. Also fahren wir dahin. Wir werden dort schon unterkommen, zumal das Rifugio Val Viola nicht gerade den allerbesten Ruf hat. Jedenfalls nicht in deutschen Internetforen, alle raten von einer Übernachtung dort ab. Aber wie das in diesen Foren ja oft der Fall ist, sollte man die Beiträge nicht immer ganz ernst nehmen. Ziemlich viel Mist wird da verbreitet.

Einige Kilometer müssen wir auf einer asphaltierten, einspurigen Straße fahren. Es geht beständig bergauf, dazwischen auch mal runter, an einem Parkplatz sind wir dann wieder auf Mountainbike-Terrain. Ein grobschottriger Weg führt weiter bergauf. Immerhin liegt das Rifugio Val Viola, eine Militärkaserne aus dem Ersten Weltkrieg, auf stattlichen 2314 Metern Höhe. Wir kommen aus ca.1800 Meter. Und haben auch schon einige Kilometer und Höhenmeter hinter uns.

Wieder werden unsere Mühen belohnt, durch eine fantastische Landschaft fahrend, nähern wir uns dem Refugio Val Viola. Zahlreiche Tagesausflügler kommen entgegen, sicher haben alle einen herrlichen Tag in einer herrlichen Umgebung verbracht. Die das Val Viola umgebenden Berge sind durchweg deutlich über 3000 Meter hoch. Gut zu sehen sind die Gletscher der Cima Viola und ihrer Nachbarn. Auch der Lago di Val Viola scheint ein lohnenswertes Ausflugsziel zu sein. In Scharen kommen die Menschen von dort hoch zum Schotterweg und machen sich auf den Weg zum Parkplatz, der von hier aus zu Fuß in einer Stunde zu erreichen sein dürfte.

Val Viola 2

Nun ist es endlich zu sehen, unser heutiges, spontan gewähltes Ziel. Ziemlich groß scheint das Gebäude zu sein. Rostrot steht es in einiger Entfernung völlig frei im Tal. Es geht nun sogar leicht bergab, den schmalen Pfad zum Rifugio lasse ich aus. Der "Fahrweg" scheint mir die schnellere Lösung zu sein. Wolfgang sitzt schon dort, mit meinem scharfen Blick kann ich ihn gut erkennen.

Wenige Minuten später bin ich dann endlich auch am Ziel. Nur ganz wenige Leute sind hier, schnell wissen wir, dass es alles Familienangehörige sind. Der Hüttenwirt, ein schon älterer Mann, zeigt uns, wo wir die Mountainbikes unterstellen sollen. Überdacht, zwischen einem uralten Herd aus Naturstein und einem Holzgatter, finden unsere besten Stücke einen passablen Unterstand.

Zimmer um sechs Uhr, Essen um sieben. Nicht unfreundlich, aber auch nicht gerade sehr einladend, wird uns gesagt, was Sache ist. Ups. Unsere kläglichen Italienischkenntnisse rächen sich nun. Nur gut, dass der Wirt leidlich besser deutsch kann als wir italienisch. Wir bestellen, um die Wartezeit zu verkürzen, Birra alla Spina. Gibt es aber nicht. Nur Flaschenbier. Das dafür in mächtig großen Flaschen. Was aber nicht weiter schlimm ist. Das Erste 0,66er ist nicht kalt genug, schmeckt aber trotzdem. Das Zweite, nun gut gekühlt, ist lecker. Heimisches "Dreher Bier".

Nun dürfen wir endlich auf unser "Zimmer". Aber nicht ohne davor in die bereitgestellten Badeschlappen schlüpfen zu müssen. Der wertvolle Holzboden könnte ja sonst Schaden nehmen. Wir können uns ein Schmunzeln nun nicht mehr verkneifen. Der Wirt geht voraus die uralte Holztreppe hoch, in respektvollem Abstand folgen wir ihm. Dann die Offenbarung. Ein riesiger Schlafsaal, Stockbetten aus Metallgestell, mit Pressspanplatten immer wieder untereinander abgeteilt, bietet sich dar. Aber auch zwei Einzelbetten. Extra für uns. Vor dem Schlafsaal ist der Waschraum. Zwei recht große Waschbecken, keine Dusche und kein warmes Wasser. Aber wir sind ja auch nicht auf einem Fünfsterneurlaub und nehmen es mit viel Humor. Ob das Bier deshalb in XXL-Flaschen angeboten wird, wissen wir nicht. Aber lustig ist das schon. Und was für ein Gegensatz zu unserer gestrigen Luxusherberge! Zum Glück sind wir nicht anspruchsvoll.

Nach einer "Katzenwäsche" gehen wir nach unten. Meine Hoffnung ist ja, dass es ein leckeres Essen gibt. Steinpilzpolenta oder so was, bestimmt gibt es das. Denke ich so bei mir. Auf der menschenleeren Terrasse gönnen wir uns noch ein "Dreher", diesmal von der Gattin des Wirtes serviert. Vielleicht war es auch seine Mutter. Egal. Es war gut gekühlt und tat gut.

Endlich, wir werden höflich zu Tisch gebeten. Eine weitere Offenbarung. Der "Speisesaal", genau so groß wie unser Schlafraum, darf nun endlich betreten werden. Nein, ich beschreibe das nun nicht. Dazu fehlen mir echt die Worte. Aber es gibt Fotos davon, guggt ihr eben da nach und urteilt selbst.

Das Essen. Zwei Plastikteller, zwei Plastikbecher, eine Flasche Rotwein (1 Liter!), dazu eine Flasche Wasser. Unser Gedeck. Dann wird serviert. Aus einem großen Topf gibt es so etwas wie Gulasch, mit einem ziemlich großen Schöpflöffel wird uns das auf den Plastikteller gepfeffert. Von der Frau oder Mutter, wie werden es nie erfahren, des Wirtes. Kurz danach wird in einer Edelstahlschale (!) eine riesige Menge Polenta (!) serviert. Es hat sehr gut geschmeckt. Auch der Wein war voll lecker, ohne Spaß nun. Ein Nachtisch noch? Ich nein, Wolfi ja. Kuchen, dazu einen Cappuccino. Der Kuchen war gut, der Cappudingens wohl nicht so. Aber egal, ein Highlight des Tages war zweifellos der "Löffel", der im Cappuccino-Plastikbecher steckte. Einfach ein kleines Stück Ast, mit einem scharfen Messer abgeschnitten. Klar, geht auch. Wir fandens witzig.

Noch ein Bier? Ja, why not? Also wieder raus auf die Terrasse, den gigantischen Blick auf die vergletscherten Berge und den Sonnenuntergang genießen. Zehn vor Halbzehn, quasi mit erhobenem Zeigefinger weist uns der Wirt auf die letzten 10 Minuten hin, die uns bis zur Sperrstunde bleiben. Die wäre, nach dem Aushang, aber erst um 22 Uhr. Auch recht. Nicht dass das falsch rüber kommt, der Mann war schon freundlich und so. Aber eben auf eine Art, die man verstehen sollte. Wir haben verstanden.



| 72 Kilometer | 1624 Höhenmeter |

Fotos